Vier Wochen später

Ein Monat ging ins Land, seit ich vor Ostern das künstliche Tourismusländchen Pamina umrundet habe.

Fast ausschließlich auf ausgeschilderten Radwegen erkundete ich die Gegend zwischen Saar-Union und Baden Baden, zwischen Rastatt und Heidelberg. Ein rundum gutes Fahrraderlebnis, das in den Beiträgen dieses Blogs in Text und Bild in – beinahe – Echtzeit verfolgbar war.

Ich bedanke mich bei den etwa 100 ‚Gepäckträgerreisenden‘, die mich während der anderthalbwöchigen Reise im Blog mitradelnd, mitfiebernd begleitet haben.

Das Blog werde ich künftig weiterführen, denn der Paminavirus hat mich befallen. Es gibt jede Menge Radwege im kleinen Ländchen rings um Karlsruhe, Wissembourg, Landau und Haguenau, die ich noch erkunden möchte. Per Bahn ist es nicht sehr weit ab Zweibrücken, um schon bald wieder einzutauchen in die Faszination Flammkuchen (um nur eine Attraktion zu nennen). Zwischen Rhein, Schwarzwald, Nordvogesen und Pfälzer Wald gibt es so viel Sehenswertes. Ich bin sehr glücklich darüber, so nahe beim Paminaland zu wohnen.

Ganz besonderer Dank geht an drei handvoll großzügige Sponsorinnen und Sponsoren, die mich finanziell und materiell unterstützten und mir die ein oder andere warme, trockene Nacht in einem Hotel ermöglichten und meine künstlerische und literarische Arbeit wertschätzten.

Bald schon erhaltet Ihr Post von mir. Aus den vielen Bildern, die ich unterwegs eingefangen habe, werde ich eine limitierte Bildcollage gestalten. Wie auch schon auf früheren Reisen.

Interessierte können sich gerne schon einmal in meiner Kunstsektion umschauen, um sich ein Bild zu machen, wie die Paminablog-Collage ungefähr aussehen wird (das Headerbild dieses Artikels zeigt ein Teil der Bilder). Das Kunstwerk kann bis zum 31. Mai per Mail zum Ausgabepreis von 40 € (zzgl. Versandkosten) bestellt werden. Der reguläre Preis für das 40/60 cm Bild beträgt 60 €.

Was kommt als Nächstes? In der nächsten Schlechtwetterperiode werde ich die Bildcollage am PC fertigstellen und drucken lassen. Außerdem wird es auch wieder ein Followerdenkmal (wie schon für die Reisekunstprojekte ans Nordkap und nach Gibraltar) geben mit den Namen aller UnterstützerInnen.

Wie im Blog (Tag vier der Reise) erwähnt, wird es ab Mai einen neuen Radweg zwischen Rastatt und Haguenau geben, den ich testen möchte. Gut möglich, dass ich schon in diesem Sommer aufbreche, um mich im Dreieck Wissembourg/Haguenau/Rastatt ein wenig umzuschauen.

Auf Radwegen rund um Paminaland – neun Tage Vélodiversitée

Der Kreis schließt sich. Über 500 Kilometer habe ich in den Beinen, seit ich vor acht Tagen zur Fahrradtour ums Paminaland gestartet bin. Mein Zelt steht in einem Fichtenwald am Rande des Gewerbegebiets Hauenstein. Die B10, die auf der anderen Seite der Queich an Felsen vorbei führt, macht einen Höllenlärm. Tag und Nacht. Dennoch habe ich gut geschlafen auf etwas abschüssigem Platz im Moos unter den strammen Fichten. Die Nacht war nicht so kalt wie die anderen Nächte im Zelt. Es regnet nicht mehr. Nebliger Morgen. Aber im engen Tal erkennt man schon einzelne Lücken im Dunst, sogar ein bisschen Himmelsblau.

Bis nach Hornbach sind es noch siebzig Kilometer und von dort noch fünfzehn bis nach Zweibrücken. Eigentlich könnte ich den direkten Weg entlang der Queich bis Hinterweidenthal nehmen und ab dort hinüber in die Täler der Rodalb und des Schwarzbaches und im Nachhinein, muss ich eingestehen, es wäre besser gewesen. Fast durchgängig, ohne auf Straßen fahren zu müssen, führen Radwege bis zum Zweibrücker Herzogplatz.

Meine Route jedoch nutzt die westlichen Radwege des Paminalands – schließlich ist das künstlich konstruierte, grenzübergreifende Tourismusgebilde ja auch Hauptthema dieses Blogberichts. Ab Hinterweidenthal mündet der Queichradweg in den Pamina-Lauter-Radweg, der via Dahn und Wissembourg nach Lauterbourg am Rhein führt und dabei, mehrfach die Grenze wechselnd, dem Bach Wieslauter folgt. Ich bin den Weg schon öfter geradelt. Er ist sehr zu empfehlen, hat kaum Steigungen und führt vorbei an typisch roten Felsen des Wasgaus – jene waldig felsige Gegend um Pirmasens und Dahn – und durch malerische Dörfchen. Ein ganz besonderer dieser roten Felsen, ist der Teufelstisch bei Hinterweidenthal, fast direkt an den Radwegen gelegen.

Meine Route quert jedoch kurz vor Dahn südwärts über den Biosphärenradweg. Das ist ein vierzig Kilometer langer Rundweg zwischen Dahn und Fischbach. In Fischbach kann man in einem Baumwipelpfad die Biosphäre erkunden und lernt etwas über die Baumwipfelwelt.

Weiter gehts westwärts über den Hornbach-Fleckenstein-Radweg, leider ein ziemlicher Reinfall. Ich hätte es wissen können. Bis etwa Vinningen ist der Radweg recht tauglich, auch wenn er schon auf dieser Strecke einige Kilometer Straßenpassage bereit hält, die aber nicht weiter ins Gewicht fallen, da die Sträßchen (zumindest wochentags) nicht stark befahren sind. Beim Eselskopf zwischen Ludwigswinkel und Eppenbrunn überquert man die Wasserscheide Mosel/Rhein. Einer von drei markanten Anstiegen dieser Etappe. In Eppenbrunn steht in der Ortsmitte eine beeindruckende Relief-Karte, die die ‚Hügel‘ und Täler der Umgebung plastisch darstellt. Am happigsten dürfte das Stück von Eppenbrunn ins 441 Meter hoch gelegene Vinningen sein, immer noch gut abseits der Straße radel- bzw. schiebbar.

Ab dem Sportplatz Vinningen exsistiert der Radweg aber nur noch auf dem Papier. Über eine deutlisch stärker frequentierte Höhenstraße gehts stets leicht abwärts via Bottenbach und Großsteinhausen ins Hornbachtal. Schade. Diese nur etwa acht Kilometer verderben den schönen Fernweg zwischen der Ruine Fleckenstein und dem Pirminius-Städtchen.

Als ich gegen 18 Uhr nach neun Tagen Rundkurs ums Paminaland endlich Hornbach erreiche, bin ich überglücklich. Lasse die Tour im Café des örtlichen Wasgau-Marktes bei Kaffee und Kuchen ausklingen und spinne an einem Reiseführer herum, den ich über das Paminaland schreiben könnte. (Könnte, könnte Altersrönte).

Natürlich darf eine Berechnung der Wegstrecke in Hornbacher Ellen nicht fehlen. Das uralte Längenmaß ist schließlich in der Klostermauer verewigt. Eine Hornbacher Elle misst 67 Zentimeter. Fast eine Million Ellen habe ich auf meiner Radtour ums Paminaland zurückgelegt.

Fazit zur Pfalz: Der PA-Abschnitt im PAMINA-Land ist der landschaftlich abwechslungsreichste und reizvollste. Die Radwege führen allesamt in sanft steigenden oder fallenden Bachtälern. Ab und zu muss man zwei drei Kilometer weit steil bergan kurbeln, um vom einen Tal ins andere zu kommen. Dominant ist der rote Fels, die Burgen, die Buntsandsteingebäude in den malerischen Dörfern.

Und wenn ich sage, PA sei am Schönsten, so meine ich, MI ist am Schönsten, wie auch NA am Schönsten ist. Im Grunde kann man es halten wie in der Schlussszene des Monty Python Films Leben des Brian: Ich bin Brian! Nein ich bin Brian! Nein ich bin Brian und meine Frau ist auch Brian!

Kurzum und somit mein Fazit fürs gesamte Paminaland: der Velodiversitée sei Dank erlebt man drei Regionen im Herzen Europas hautnah und radelt auf meist guten Radwegen vorbei an wie auf einer Perlenschnur augefädelten Sehenswürdigkeiten. Vielfalt und Abwechslungsreichtum kennzeichnen die große Paminarunde.

Neun Tage sind für die Strecke ein bisschen knapp, wenn man noch einige Abstecher machen will, oder sich ein paar Sehenswürdigkeiten anschauen möchte. Sportlich ambitionierte Radler könnten die Strecke jedoch in ein bis zwei Tagen bewältigen (oder stattdessen in einem Stadion 600 Kilometer lang rund fahren :-))

Dehäm in de Palz | #paminablog

Vom Kraichgau zum Rhein und vom Rhein zum Wein. Mit den beiden vergangenen Tourtagen Nummer sieben und acht der Pamina-Rundtour, sieht man auf der Gesamt-Tourkarte, die Frau Sofasophia skizziert hat, wie sich der Kreis langsam schließt. Mittlerweile habe ich über 500 Kilometer in den Beinen. Die Radtour ist äußerst abwechslungsreich und es gibt viel zu sehen, was mich vor einigen Tagen zu einem Tweet veranlasste, in dem ich die Worte Vélodiversitée und Radfaltigkeit ins Spiel brachte. Wobei ich die Vélodiversitée von dem Wort Biodiversitée abgeleitet habe, das ich – wenn ich mich recht erinnere – erst 2010 irgendwo in Frankreich auf einem Umweltschutzplakat gelesen habe. Es dauerte dann noch ein paar Tage, bis ich ein geeignetes Wort auf Deutsch fand: Radfaltigkeit. Ich habe also nichts Besonderes erfunden. Dennoch: ich liebe solche Wortfindungen. Eigentlich lief meine Pamina-Umradelung bis zum vorgestrigen Tag prima nach Plan. Ich habe alle Themen- und Fernradwege aus meiner Tourskizze gefunden, befahren, auf Herz und Nieren getestet. Bis … nunja, der Kraichgau-Hohenlohe-Radweg mündet kurz hinter Kronau in den Rheintal-Radweg, den ich für fünf Kilometer nehmen müsste, um die Schönborn-Route nach Waghäusel zu treffen. Ich Schussel nehme aber die Rheintal-Route nach Norden, statt nach Süden und verirre mich auf regionalen Wegen bis Waghäusel. Erst dort vorm Schloss sehe ich erstmals ein Hinweisschild auf die Schönborn-Route. Meine verirrte Variante war aber auch nicht schlecht.

Diese Verirrung verdeutlicht aber das Problem, das zu viele verschiedene Radwege bei Fernreisenden verursacht: es ist schlicht verwirrend, vor einer Infotafel zu stehen, in der alle möglichen Wege als Knäuel von Rund- und Themenkursen gelistet sind. Schön wäre die Beschilderung einer großen Paminarunde. Auch die vielen Rheinradwege, die von Nord nach Süd im Rheintal verlaufen, verwirren sicher den einen oder anderen Fernreisenden zwischen Nordkap und Gibraltar.

Wie auch immer. Der Teil Mittlerer Oberrhein des Paminalands besteht den Stresstest dennoch. Sehr abwechslungsreiche Gegend zwischen tausend Meter hohen Bergen und lieblich geschwungenen Hügeln und mit dem großen Vater Rhein im Gepäck kann sowieso nichts schief gehen. Übernachtet habe ich bei vorher persönlich unbekannten Twitterfreunden zwischen Bruchsal und Germersheim. (Dankeee Ihr Lieben, es war schön bei Euch).

Am Morgen gehts über die 605 Meter lange Rudolf-von-Habsburg-Brücke in die Pfalz. Da die Zeit knapp ist, fahre ich gleich nach Norden weiter auf dem Rheinradweg (dem linksrheinischen, nicht zu verwechseln mit dem rechtsrheinischen, sowie dem Rheintal-Radweg, alles klar?) In Germersheim hätte ich mir zu gerne einmal das Straßenmuseum angeschaut. Aber es läuft ja nicht weg.

Kurzes Stück Landstraße ab Lingenfeld, dann bin ich auch schon wieder auf Themenradwegen, die mich durch Kraut und Rüben vom Rhein zum Wein führen. Die heißen tatsächlich Kraut-und-Rüben-Radweg und Vom-Rhein-zum-Wein. Beide Wege sind in der Open Cycle Map verzeichnet. Die versprochenen Infotafeln, die einem Lehrreiches über Wurzeln, Kohl und Riesling verraten, finde ich nicht, übersehe sie entweder, oder bin zu wenig Strecke gefahren auf den Wegen, die durch Felder und Weingärten in Richtung Osten führen.

Mitten im Schwegenheimer Wald steht neben dem Radweg ein Steinkreuz. Doch noch eine Infotafel. Dass es sich um ein Massengrab handelt und dass es derer viele in der Gegend gibt. Der Legende nach alte römische Massengräber, was jedoch nicht stimmt. Die Gräber sind aus dem frühen 18. Jahrhundert. Sie wurden von den Bewohnern der umliegenden Dörfer angelegt, um die Toten einer Schlacht zu begraben. Düsternis und Regen droht. Mir läuft es kalt den Buckel runter und ich sinniere über die Begriffe ‚vor langer Zeit‘ und ‚in alten Zeiten‘ als kaum noch deutbare Zeitangaben in mündlichen Überlieferungen. Die Verwechslung beider Begriffe hat angeblich zur Legendenbildung der Römergräber geführt.

Garstig drohende Bergkulisse voraus. Wie Schwarzwald, aber eine Spur lieblicher. Krasser Gegenwind bremst mich im recht ebenen Land auf 12 km/h. Etwas südlich ist ein Loch in der Pfälzerwald-Kette zu erkennen. Dort, in der Nähe von Landau, hat sich die Queich in Jahrtausenden Schufterei ein veritables Bett gegraben. Der Queichtalradweg (der eigentlich bis Germersheim führt und den ich morgens als direkten Schnellweg nach Hause hätte nehmen können), ist mein Ziel. Bei Siebeldingen erreiche ich ihn nach einiger Auf- und Abkletterei auf dem Radweg Deutsche Weinstraße.

Gegen vierzehn Uhr hört der Wind auf und Regen setzt ein. Es ist beruhigend, zu wissen, dass man nun an einer Bahnstrecke entlang fährt mit Bahnhöfen alle fünf bis zehn Kilometer, an denen man mitsamt Radel und Gepäck einsteigen und innerhalb einer guten Stunde daheim sein kann. Für einen Moment liebäugele ich damit. In Annweiler ist erst einmal Kaffeepause in einer Café-Bäckerei angesagt. Ich jongliere mit diversen Möglichkeiten: Ein Zimmer in Annweiler mieten, weiterfahren nach Wilgartswiesen, Hauenstein, Hinterweidenthal, irgendwo zelten, sogar der Campingplatz am Neudahner Weiher scheint geöffnet. Alles ist möglich. Ich könnte sogar mit der Bahn nach Hause fahren und am nächsten Tag wieder zurück wie ein Berufspendler. Es sind noch etwa 80 Kilometer bis Zweibrücken, wenn ich der Route in meinem Roadbook folge. In Wilgartswiesen stehe ich in unradelbarem Regenschauer kurz davor, eine Pension zu nehmen. Es gibt sogar zwei Hotels im Ort. Oder das Atelier von Künstlerfreund Peter Padubrin-Thomys in der Alten Hauptstraße? Nein, er ist leider nicht zu Hause. So viele Möglichkeiten, aber in meinem Kopf hat sich längst die Idee des Wildzeltens breit gemacht. In der letzten Tournacht. Sozusagen der Ehre wegen. Und dafür spricht auch der helle Streifen im Westen unter der bösen Regenwolke.

Kurz hinter Hauenstein, wo sich in den letzten dreizehn Jahren ein riesiges Gewerbegebiet entlang Bahnlinie und B10 gebildet hat, finde ich einen schönen Zeltplatz unter Fichten. Nur die Bundesstraße ist mit ihrem ewig malmenden Verkehr ziemlich nervig. Eine Wunde im Pfälzer Wald. Und nun, da ich dies tippe, wird mir klar, dass es ohne diese Straße vermutlich auch keinen Radweg gäbe.

Karlsruhe, aber nur in der Phantasie und mit Blut gepinselt | #paminablog

Wenn das Paminablog ein Drehbuch von Stephen King wäre, würde es vermutlich in einer uralten Villa spielen, in der der Held, moi-même, halb verrückt von allmöglichen Erscheinungen heimgesucht würde. Von der Decke tropfte Blut, halbdurchsichtige Kinder kämen durch die Wände und Spieluhren würden, ohne, dass sie jemand aufgezogen hat, verzerrte Kinderlieder dudeln. Überall an den Wänden wäre mit roter Farbe das Wort KARLSRUHE gepinselt. Karlsruhe 36 Kilometer hier, Karlsruhe 32 Kilometer da, Karlsruhe 28 Kilometer, Karlsruhe 33 Kilometer und so weiter.

Schnitt.

Pforzheim habe ich bisher immer als eine Stadt ganz nah bei Stuttgart wahrgenommen, als eine Autobahnausfahrt der A8. Als von Hügeln umgebenes Etwas, wie dafür geschaffen, auf dem Weg nach Bayern in die Ferien daran vorbeizurauschen, möglichst hoffend, dass keine Verkehrsmeldung den Namen der Stadt noch zusätzlich hervorhebt. Achtung, auf der A8 kommt Ihnen zwischen der Auffahrt Pforzheim Nord und Woanders ein Fahrzeug entgegen. Fahren Sie bitte äußerst rechts und überholen sie nicht.

Doch zurück zum Radfahren und zu Karlsruhe.

Als mir der Wirt der Linde zu Dobel am Morgen steckt, dass der Ort 720 Meter hoch liegt und dass ich womöglich auf fast 1000 Metern Höhe war, als ich den Nordschwarzwald überquerte, bin ich schon ein wenig stolz. Die Anstrengung steckt mir aber noch in den Muskeln, weshalb ich zunächst auf der Landstraße bis ins Enztal radele, anstatt die womöglich auf und ab führenden Radwege Schwarzwaldradweg und Schwarzwälder Höhenweg zu nehmen, die an diesem Abschnitt deckungsgleich verlaufen.

Der Sparvertrag an Höhenmetern, den ich im Schwarzwald aufgenommen habe, wird mir endlich ausbezahlt. Im Enztal komme ich gut voran, schwenke in Pforzheim auf den Radweg Heidelberg-Schwarzwald-Bodensee (HSB) und erhalte ein recht hübsches Gesicht des bisher immer nur vom Vorbeifahren gekannten Städtchens. Ganz wichtig: es liegt an der Enz und nach Karlsruhe sind es 36 Kilometer, steht irgendwo auf einem Radweg-Hinweisschild. Nach ein wenig Kletterei erreicht man ein kahles, belandwirtschaftetes Hochland mit jungkeimenden Feldern und braunen Äckern. Nordwestwind nagt an den Nerven und der Hochnebel drückt eine gewisse Tristesse ins Gemüt und auf allen Radwegschildern steht, wie weit es bis Karlsruhe ist. Das ist geradezu unheimlich und veranlasst die zarte Radlerseele in eine Horrorfilmphantasie abzudriften.

Bis etwa Bauschlott. Dort ist der Karlsruhe-Spuk vorbei und ich folge den Hinweisen nach Bretten. Rasant abwärts durch Buchenwald, eine phantastische Strecke. Bretten ist wunderschön, und ich sehr froh, dass das Kleinod auf meiner großen Pamina-Umrundung liegt. Fachwerk, Stille, Cafés und auch sonst alles, was das Herz begehrt. Noch etwa fünfzehn Kilometer folge ich dem HSB, bis ich mich über die regionalen Routen KS20 und KS05 Richtung Kraichtal aufmache. Odenheim ist mein Ziel. Die Passage quer über den Kraichgau durch Unter- und Oberöwisheim ist die Wucht. Natur pur. In Oberöwisheim schenkt mir ein Paar, das gerade einen Baum pflanzt, eine Flasche Wasser. Die Begegnung war ebenso herzig wie morbid. Ich hätte nämlich beinahe gefragt, ob sie eine Leiche vergraben wollen oder einen Baum pflanzen. Ein Rest Vernunft hat mich von diesem Scherz abgehalten.

Ich habe mich aufs Wildzelten eingestellt. Von Westen drücken dunkle Wolken. Der Versuch, in Unteröwisheim ein Zimmer zu finden scheiterte an Faulheit (erstes von mehreren Gästehäusern war ausgebucht und ich wollte nicht weiter suchen). In Oberöwisheim gibt es nichts. In Odenheim im Ochsen vermietet man keine Zimmer mehr. Beim örtlichen Heilpraktiker, der eine Ferienwohnung zu vermieten hat, war niemand zu Hause und Tiefental mit seinem feinen, nicht billigen Hotel war dem Herrn Irgednlink zu weit ab vom Schuss. Kurzum, gleich am Ortsrand von Odenheim steht nun das Europennerzelt. Die Nacht war kalt. Abends regnete es. Der Talnebel lichtet sich.

Nachdem ich diesen Artikel gepostet habe, werde ich packen und losradeln.

Eine Twitterfreundin nahe Germersheim hatte spontan und unbekannterweise gestern Abend angeboten, dass ich bei ihnen übernachten könne. Und das ist doch mal ein Tagesziel, oder?

Der Badische Knoten | #paminablog

Gerade erreicht mich eine E-Mail, die die fehlende Beschilderung der Radwege und die Umleitungsstrecken zwischen Haguenau und Drusenheim bei der Rheinfähre erklärt: ab Frühling wird es einen nigelnagelneuen grenzübergreifenden Rundkurs zwischen Elsass und Baden geben. Zitat aus der Mail (Danke, Herr Ilzhöfer, für die schnelle Information):

„Die Radstrecke Radeln ohne Grenzen wird bis Mitte Mai komplett überarbeitet, weswegen seit geraumer Zeit keine aktive Bewerbung mehr stattfindet. Es wird ein 94 km langer Rundkurs in Zusammenarbeit mit den französischen Kollegen entstehen. Auf deutscher Seite bleibt die Strecke weitestgehend identisch, auf französischer Seite hingegen gibt es einen komplett neuen Verlauf. Des Weiteren wird es einen neuen Namen geben („PAMINA-Rheinauen Süd“) sowie ein neues Routenlogo.“
Ende des Zitats.

Da muss ich wohl noch einmal vorbeischauen. Ich bin schon sehr gespannt.

Doch zurück nach MI (ich kam gestern Abend in den Genuss eines Flammkuchens schwäbischer Art und bin nun verunsichert, ob ich noch in Baden bin oder schon in Schwaben. Leuten von auswärts dürfte die Baden-Schwaben-Verwechslung ohnehin geläufig sein und somit scheren sie beide Länder über einen Kamm …)

Wie auch immer.

Schon vor Reisebeginn wollte ich einen Artikel schreiben über die Radwege am Mittleren Oberrhein, also hier in Baden (oder/und Schwaben 😀), augenzwinkernd mit dem Titel der Badische Knoten. Zu viele verschiedene Radwege hatte ich in meine Runde ums Paminland einkompiliert, als dass sich da noch einen Überblick finden lässt. Im ersten Artikel des Blogs gibt es hierzu eine Liste und in der Wegekarte rechts neben diesem Artikel erkennt man das Dilemma ja auch.

Die Navigation ist entsprechend abenteuerlich und nun, da ich mitten drin stecke im Badischen Knoten, kann ich empfehlen, dass es am besten ist, nach Ortsnamen zu navigieren und den grün-weißen Radwegschildern zu folgen. Grob sind dies ab Greffern am Rhein Lichtenau, Bühl, Baden-Baden, Kuppenheim, Rastatt. Je mehrere Radwege bieten sich als Möglichkeit. Meist auf ruhiger Straße oder als Begleitweg an Straßen. Die Gegend ist dicht besiedelt.

Meine gestrige, zweite Zeltnacht war eiskalt. Mehrmals wachte ich auf und heizte das Zelt mit dem Spirituskocher. Schwitzhüttenfeeling für eine halbe Stunde. So bin ich froh, dass frühmorgens ein Mann in der Kleingartensiedlung werkelt, neben der ich gezeltet habe und mir ein Bäckereicafé in Sinzheim empfiehlt. Vorkirchgängliches Treiben. Noch ist es ruhig in der Bäckerei. Aber sobald die Gottesdienste enden, wird es bestimmt voll.

Als ich die Bäckerei verlasse, ist die Straße gesperrt und um die Ecke hat sich eine Gemeinde versammelt. Menschen strömen aus allen Gassen in die Richtung, hey und klar, es ist Palmsonntag. Alle tragen Zweige und Grünzeug, feierlich gekleidet. Der Beginn einer Prozession. Der Pfarrer sagt durchs Mikrofon an, dass man mit Lied 219 beginne, Zwei eins neun, wiederholt er. Gut hundertfünfzige Leute stehen am Platz. Ich schlängele mich durch und radele nach Baden-Baden, verirre mich ein paar Kilometer stadteinwärts, finde den Weg wieder nach Kuppenheim. Abstecher zum Schloss Favorite, einem alten Lustschloss mit riesigem Park (den hatte ich übrigens auf der Karte als möglichen Wildzeltort ausgemacht 😉)

Endlich die Murg. Ziemlich breiter, eingedämmter Fluss. Im Hintergrund droht der Schwarzwald. Ob es eine gute Idee war, nach etwa fünfzehn Kilometern auf der Tour de Murg den Schwarzwaldradweg ab Gernsbach nach Norden zu nehmen? War es nicht.

Zunächst beginnt es jedoch äußerst idyllisch durch den Gernsbacher Kurpark stets aufwärts auf einem meist geteerten Weg ins Igelbachtal. Loffenau als Ziel. Ab dort wirds eklig. Der Radweg verläuft einige Kilometer auf der Straße, die, Sonntag-sei-Dank, von hunderten Sonntagsausflüglern befahren ist. Falls man sich über die gute Luft in der Gegend wundert, die Stickoxide sind jetzt alle in meiner Lunge. Wahrscheinlich radelt sichs auf der etwa vier Kilometer langen Straßenpassage wochentags ganz entspannt. Schließlich schlägt sich der Radweg aber ins Niemandsland jenseits der Straße nach Bad Herrenalb, aber nun kommt es ganz dick: unendlich aufwärts unendlich steil. Irgendwann diagnostiziert das GPS 698 Meter Höhe. Der Forstweg ist nun verschneit. Ich muss schieben. Aus acht Kilometern bis zu meinem Ziel Dobel, die ich normalerweise trotz der Steigung in weniger als einer Stunde geschafft hätte, werden zwei Stunden oder gar mehr. Immer wieder muss ich das Fahrrad schieben, rutsche ich im Schneematsch umher.

Heilfroh, dass ich dann gegen 19 Uhr endlich das Dorf erreiche und mich in einem Gasthaus einmieten kann. Zum Abendessen gibt es Flammkuchen schwäbische Art. Statt Zwiebeln und Speck ist er mit Blut- und Leberwurst belegt.

Welcome To The Copa Pabana | #paminablog

Gestern habe ich den ersten Teil des dreiteiligen Tourismus-Kunst-Ländchens Pamina ‚fertig‘ erkundet. NA. Das steht für Nord Alsace, also das Nord-Elsass. Die Stadt Haguenau liegt ungefähr im Zentrum. Zwei wichtige Radwege erschließen den Nord Alsace-Teil von Paminaland. Saverne-Haguenau: sehr gut. Klasse beschildert, schöne Streckenführung. Sowie Haguenau-Bühl-Baden Baden-Rastatt. Miserabel. Ein Fake-Radweg, den man meines Erachtens aus der Not heraus vom Reißbrett zusammengeschustert hat. Schon alleine die Streckenführung ab Haguenau via Kaltenhouse bis Oberhoffen durch dicht besiedeltes Gebiet auf Departementsstraßen, die – ich hatte ja Glück, war samstags unterwegs – wochentags sicher hochfrequentiert sind, sind ein Hohn. Schmale Möchtegern-Radwege, die nur optisch vom Kraftverkehr getrennt sind, buhlen mit verwurzelten Etwassen um die Gunst gehetzter Radler. Ab Oberhoffen sur Moder gibt es einen in der Open Cycle Map verzeichneten Weg über geteerte Feldwege bis Drusenheim. Keine Beschilderung. Schön: man sieht schon die Kulisse des Schwarzwalds. Es gibt einen Radweg, der in weitem Bogen nordwärts aus Haguenau hinaus und auch nach Drusenheim führt, als Nummer neun in der Karte der Radwege des Bas Rhin verzeichnet, der mir tauglicher scheint, der aber auch länger ist.

Fazit für den Abschnitt NA des Paminalands: Super Radwege, tolle Gegend, viel zu sehen. Wären da nicht die etwa dreißig Kilometer von Haguenau bis zur Rheinfähre, die man einfach nur erlogen hat, um einen Radweg auf dem Papier vorweisen zu können. Richtig mies ist vor allem die etwa zehn Kilometer lange Strecke Haguenau-Oberhoffen.

Dann Baden. Die kostenlose Fähre bringt mich schnell über den großen deutschen Fluss, genannt der Vater. Nun bin ich im Abschnitt MI des Paminalands. MI steht für Mittlerer Oberrhein, grob gesagt Baden. Es könnte auch BA heißen, denke ich rheinaufwärts nach Greffern kurbelnd. Steifer Wind aus Nordwest. Dritter Gang. Kiesweg auf Rheindamm. Schiffsbrummen. Spaziergänger. PABANA. Copa Pabana. Damm damm. Weine nicht, wenn die Sonne scheint. Und das tut sie.

Die Orientierung ist mäßig, mühsam, fast wie Bildhauerei. Die Zeit ist reif, einen offiziellen Pamina-Rundweg nach Irgendlink auszuschildern, phantasiere ich selbstherrlich, berauscht kurbelnd. Inklusive meiner Nordwestpassage.

Nach und nach meißele ich mir die mutmaßliche Strecke zurecht, nachdem ich mir die Karte aus dem Blog (hier rechts neben dem Text, bzw. ganz unten bei Smartphoneansicht) angeschaut habe. Es könnte sein, dass ich den Schildern nach Lichtenau folgen muss, und ach ja, da auf dem Schild steht ja nun Bühl drauf und bald schon navigiere ich auf ruhigen Landstraßen und auf straßenbegleitenden Radwegen Richtung Baden-Baden, bin plötzlich auf einem als ‚Rhein‘ gekennzeichneten Radweg, der streckengleich mit dem Ortenauradweg läuft und schwupp, kurz vor Baden-Baden umrunde ich Sinzheim. Zwei bärtige Wirte geben mir in einem Gasthaus namens Adler Wasser und bei einem Sportplatz überlege ich, das Zelt aufzubauen, wäre da nicht gerade ein Fest im Sportlerheim. Ich überlege zu fragen, hey, darf ich im Südtor das Zelt aufstellen, aber dann entscheide ich mich, zurückzuradeln zu einer Kleingartensiedlung, wo das Zelt nun unter einem alten Kirschbaum steht. Die Autobahn rauscht unermüdlich. Ab und zu donnert ein ICE. Es ist drei Uhr zwanzig.

Während ich den Artikel schrieb, wurde die Uhr umgestellt.

Das Rattern der Menschbeurteilungsmaschine | #paminablog

Zeilenhackend im Zelt. Richtung Sonne, schreibs groß, SONNE, rauscht eine Landstraße, vermutlich die Nationalstraße Saverne-Haguenau. Hinter mir säuselt der Bach namens Moder. La Moder oder le Moder, ich weiß es nicht. Auf meiner Reise auf Radwegen rund ums Paminaland habe ich schon viele Flüsschen und Rinnsäler überquert oder folgte ihnen in ihrem über die Jahrhunderte gegrabenen Tal einige Kilometer. Lasst mich nachdenken: begonnen hat die Reise in Zweibrücken am Schwarzbach (wenn man möchte, kann man sogar noch den Bautzenbach dazu rechnen, an dessen im Sommer versiegenden Gestaden mein Atelier liegt). Dann Hornbach, Schwalbach, rüber zur (ich glaube Bickenalb), Blies, Saar, bei Saar-Union überquerte ich in Thal-Drulingen den Muhlbach und folgte ihm bis Berg. Graufthal liegt glaube ich an der Zinsel. Über den Berg gehts steil ins Tal des Zorn, dem man eine Weile folgt bis Saverne, um sodann über den Radweg 2 wieder zur Zinsel du Sud zu radeln und einige Hügel weiter ist man an der Moder, wo ich nun sitze und mich beim Schreiben vom Bach berauschen lasse.

Die Nacht war eiskalt. Gegen vier Uhr begann ich im dicken Schlafsack, den mir die Liebste geliehen hat, zu frösteln. Trotz Seiden-Inlay. Gestern nachmittag schwankte ich zwischen Zelten und einer Unterkunft suchen. Das Wetter hatte sich gebessert. Am westlichen Horizont konnte man spät doch tatsächlich eine Art Sonne erahnen. In Bouxwiller verpasste ich Künstlerkollege Serge, dessen Atelier ich mir gerne angeschaut hätte und ja, vielleicht hätte er sogar ein Zimmerchen für mich gehabt. Aber es war niemand zu Hause (bewusst habe ich nicht schon viel früher einen Termin ausgemacht, denn auf solchen Radtouren kann man – besser, kann ich – schwer einen Zeitpunkt fixieren. Ich bin schon einen Tag hintendran und wenn ich mit Serge einen Treffpunkt ausgemacht hätte, so wäre es vorgestern gewesen. Den Schlamassel möchte ich niemandem antun: warten auf Godot, den Radler, der behauptet, er käme dann und dann).

Wo war ich stehen geblieben? Bouxwiller, ah ja. Feine Elsassstadt. Fachwerkhäuser. Eng. Per Radweg ab Saverne bestens erreichbar. Ab Dossenheim fährt man oft auf ehemaliger Bahntrasse und die Beschilderung ist, nach anfänglichen Lücken, ab kurz hinter Saverne prima. Der Radweg führt auf der Bahnstrecke an Bouxwiller vorbei. Es lohnt ein Abstecher. Es gibt Läden, Restaurants, Imbisbuden. Vor einem Huit à Huit-Lebensmittelladen stand ein Junge, vielleicht dreizehn vierzehn Jahre alt und sprach mich an, als ich den Laden verließ, ob ich vielleicht fünfzig Cent für ihn habe. Ich sagte ja und kramte im Geldbeutel, fand nur Kupfermünzen und etliche Zwei-Euro Stücke. Er wird wohl schlecht wechseln können, dachte ich, und gab ihm einen Zweier. Da strahlte er, bedankte sich auf Englisch und Deutsch und in allen Sprachen und wünschte mir alles nur erdenklich Beste und lief davon. Vielleicht hatte ich ihm einen frühen Feierabend beschert? Vielleicht muss er zu Hause soundsoviel Euro abliefern? Viellleicht ist seine Bettelei eine Mutprobe und die Freunde lauern um die Ecke. Vielleicht kauft er Zigaretten und Alkohol, vielleicht ist er gar Ausländer und gehört einer jener angeblichen Bettelbanden an. Vielleicht hat er es nicht gut im Leben, vielleicht wünscht er sich was und spart darauf, vielleicht wird er gemobbt ob seiner Armut, die man ihm definitiv ansieht. Vielleicht ist es ein Jux? Vielleicht, vielleicht, vielleicht.

Vielleicht kennt Serge ihn und wüsste mehr? Ich jedenfalls nicht. In der Begegnung mit einem Menschen, flüchtig auf der Straße, nur mal so für kurz, kann man nie wissen, wen man vor sich hat und wes Geistes Kind dieser Mensch ist. Ist er ein Guter oder ein Böser, ein Ekel oder ein Darling. Die verzweigten Wege der Spekulation sind zu Beginn einer Begegnung alle offen und klar, aber recht schnell entscheidet man sich für eine Variante und steckt sein Gegenüber in eine Schublade. Es ist verdammt schwer, es nicht zu tun. Es ist verdammt schwer, neutral zu bleiben. Es ist verdammt schwer, keinen Weg einzuschlagen, so verdammt schwer, sich einzugestehen, dass man etwas einfach nicht weiß und dass alles, was man tut, weil man denkt, man müsse doch irgendeinen Weg einschlagen, mit hoher Wahrscheinlichkeit falsch ist, und man sich doch besser keine Meinung bilden sollte, man einfach einmal stehen bleiben sollte und mit dem Denken und Spekulieren aufhören sollte. Statt sich in einem Geäst aus Möglichkeiten, mutmaßlichen Wahr- und Unwahrscheinlichkeiten zu verlieren.

Ein paar Dörfer weiter werde vielleicht auch ich Opfer einer Spekulation. Ich habe mich kilometerweit bis zu jenen Fremdenzimmern durchgefragt und erreiche bei Dämmerung endlich das feine Elsässer Häuschen mit dem piken Fachwerk und der hellblauen Tünche und den leuchtenden Fenstern, klingele, eine Frau öffnet das Fenster, beäugt mich, macht eine Bemerkung über meine klobigen Schuhe, sagt, vielleicht sei was frei, sie frage nach, schließt das Fenster und ich kann fühlen, wie drinnen die Menschenbeurteilungsmaschine rattert, schwer, mechanisch, mit hölzernen Zahnrädern. Dann öffnet sich das Fenster wieder und die Frau sagt, die Zimmer seien alle belegt, eine Vierergruppe habe sich eingemietet. Ich könne sicher in Pfaffenhofen etwas finden.

Bitte beachtet, dass auch dies schon eine Spekulation meinerseits ist, dass die Dame mich weggeschickt hat, weil ich ein Radler bin, der mit seinen klobigen Wanderstiefeln womöglich Schmutz ins Haus schleppt. Vielleicht waren tatsächlich alle Zimmer ausgebucht.

Fast sechzig Kilometer unterwegs an Tag drei lacht mich ein Wieschen unweit von Pfaffenhofen an. Ein kleiner, stählerner Steg führt über die Moder, kaum 100 Meter entfernt vom Radweg und da ich müde bin und keine Lust habe auf Zimmersuche in Pfaffenhofen, schlage ich das Europennerzelt erstmals auf dieser Tour auf. Der Aufbau dauerte 40 Minuten. Ich bin aus der Übung.

Die Neue Graufthaler Direkte | #paminablog

Wie man es richtig macht, wie man es auch machen könnte und wie ich es letztendlich gemacht habe und warum das eine gute Entscheidung war, davon handelt dieser Artikel. Die Fakten: Standort Bonnefontaine, Bremse kaputt, Zeitverlust, Schlechtwetterfront naht. Schwarzhandoperation am offenen Herzen des Radels. Bremsbacken können ja so widerspenstig sein.

Die sicherlich einfachste Möglichkeit, ab Bonnefontaine das Paminaland weiter auf Radwegen zu umrunden ist, dem Saarkohlekanal zu folgen bis zur Kanalkreuzung mit dem Rhein-Marne-Kanal. Ich bin die Strecke schon mehrfach geradelt. Schöne, geteerte Kanalradwege, die in der Seenplatte um den Stockweiher bei Mittersheim spektakulär mitten durchs Wasser führen. Die Weiher wurden übrigens angelegt, um die Kanäle mit Wasser zu versorgen.

Der Radweg ostwärts am Rhein-Marne-Kanal führt bis etwa Hesse/Schneckenbusch nicht direkt am Kanal, sondern über ungenutzte Sträßchen. Spektakulär wird es in Arzwiller, wo die alte Kanalstrecke durch einen Tunnel und über viele Schleusen (10-20 Stück) durch eine Schlucht nach unten führt. Heute liegen die Schleusen still. Der Radweg ist streckenweise auf Stelzen und Stahlkonstruktion mitten im ausgetrockneten Kanal. Unten bei Lutzelbourg geht es dann weiter bis Saverne, was mein gestriges Tagesziel hätte sein können.

Aber ich habe mich ja für die zweite Variante entschieden, nicht ahnend, dass ich sie nicht umsetzen kann. Ich nenne sie die ‚Neue Graufthaler Direkte‘. Quer durchs Krumme Elsass. Sie ist viel kürzer als die Kanal-Variante. Von Bonnefontaine radelt man am Besten zurück zum Kanalradweg, nach Harskirchen, dann den regionalen Radweg 65, in der Open Cycle Map verzeichnet, bis Saar-Union. Dann den Radweg 64 nehmen, ebenso in der OCM eingetragen, über Thal-Drulingen hinauf nach Drulingen und ab Lohr runter nach Graufthal Oberhof, Phalsebourg, Lutzelbourg et voilà Saverne.

Hier kommt nun das Schicksal ins Spiel, die nackte Realität. Ich fasse noch mal zusammen: Bonnefontaine, Gärtnerhaus eines Châteaus, ungefähr bei Schleuse 16 am Saarkohlekanal, Gemeinde Altwiller, um es präziser zu sagen, etwa 15 Kilometer südwestlich von Sarreunion. Aufwändiges Radelschrauben, Schlechtwetter, elf Uhr komme ich endlich los, kann gerade noch so einen Blick auf das zerfallende Schloss hinter jungknospenden Bäumen werfen, da fallen die ersten Flocken. Schneee. Um abzukürzen nehme ich die gerade Strecke vom Saarkanal nach Diedendorf etwa fünf Kilometer bis zu Flüsschen Saar (muss man sich mal vorstellen, wie weit der Kanal von seinem Wasserspender entfernt ist). Ab dort auf Schreiasphalt und recht forscher D8 ein paar Kilometer bis zum Einstieg des Radwegs 64. Ich müsste nicht nach Saar-Union, aber die Menschen, die ich frage, ‚gibts in Thal-Drulingen eine Bäckerei, Supermarkt, Restaurant, Ir-gend-was, wo man sich mal aufwärmen könnte?‘, sagen alle nein. Was mir einen Schwenk nach Saar-Union aufhalst und, besonders schlimm, anschließend vier Kilometer Nationalstraßenaufwärts bis Thal-Drulingen. Dennoch, das Aufwärmen in einem Schnellrestaurant beim großen Supermarkt war es wert.

Der Rest der Strecke führt über den kaum beschilderten Radweg 64 auf ruhigen Landstraßen. Nicht ganz ohne Berge, aber ich kann die Variante ‚Neue Graufthaler Direkte‘ hiermit empfehlen (all jenen zum Beispiel, die die Kanalstrecke schon kennen, denn die ist ebenso spektakulär vong Landschaft her).

Fazit: es regnete den ganzen Tag und auf den Höhen des La Petite Pierrer Lands, wie ich es flapsig nenne, lag vereinzelt noch Schnee.

Tipp: in Drulingen gibts Läden und Bäckerei. In Graufthal kann man im Hôtel du vieux Moulin nächtigen. Man spricht oft Deutsch.

Heutiger Plan: eventuell ein Stück abschneiden und ab Oberhof quer östlich zum Radweg Saverne-Haguenau, oder eben doch runter nach Saverne, der Vollständigkeit halber und, na ja, das Schiffshebewerk bei Lutzelbourg würde ich mir auch mal gerne wieder anschauen.

Die Pamina-Nordwest-Passage | #paminablog

Diese Stille! Kaum zwei Stunden unterwegs, Luftlinie vielleicht zehn Kilometer entfernt von Zweibrücken und … nichts. Zaghafte Insekten, allenfalls bellt ein Hund und manchmal schlägt die Stunde am nahen Kirchturm von Medelsheim. Ein geteerter Feldweg führt hinauf auf die Kämme, die das Bliestal säumen. Unterzuckerung zwingt mich, eine Pause zu machen. Das Radel steht mitten auf dem Weg und ich mache es mir auf einem Brunnenkopf in der Sonne gemütlich. Die Unterzuckerung spült erste Allmachtsgefühle ins Hirn, ein eigentlich natürlicher Zustand des Wohlbefindens, der sich auf Radtouren hin und wieder einstellt und der einen Dinge denken lässt, die man sonnst nicht denkt, der einen auf neue Gedanken bringt oder wenigstens auf Parallelgedanken, die nur eine Spur neben den ausgetretenen Hauptgedanken laufen und ein Schattendasein in der Unkenntnis führen. Ich esse ein Brot mit Butter, dazu ein uraltes Stück Sbrinz, ein Schweizer Käse, aus dem man schussischere Westen bauen könnte. Ich habe es vor der Abreise in meinem Kühlschrank gefunden.

Warum es hier so still ist, kann ich mir zunächst nicht erklären. Natürlich, das Rauschen der Stadt fehlt, aber da ist noch mehr, besser gesagt, weniger. Die Flieger fehlen. In Zweibrücken hört man immer irgendwelche Flieger, meist Passagierflugzeuge, manchmal auch langanhaltend nachbrennende Militärflieger vom nahen Flugplatz Ramstein. Vermutlich führt über die westpfälzische Kleinstadt eine Flugautobahn. Flightradar würde Auskunft geben.

Doch zurück zu den unterzuckerungsbedingten Allmachtsphantasien: ich stelle mir vor, ich bin hauptberuflicher Radwegetester, ein Beruf, den es meines Erachtens gar nicht gibt, aber in meiner Phantasie wird er plötzlich wahr. Menschen, die Radwege auf Herz und Nieren abklopfen und für andere Menschen eine Bewertung geben. Nach der Pause erreiche ich schon bald ein erstes Testobjekt, den Radweg vis-à-vis, der sich, grob gesagt, grenzübergreifend rings um Saarbrücken und Forbach schlängelt. Eigentlich war er gar nicht in meiner Liste, vielmehr wollte ich ins Bliestal auf die alte Bahntrasse, die ich schon kenne, aber wenn sich dir ein Radweg in den Weg stellt, nimm ihn. Das ungeteerte Etwas führt auf breiten Waldwegen durch lichten Buchenbewuchs. An dieser, meiner Einstiegsstelle, Walsheim Richtung Niedergailbach, ein bissel auf und ab und parallel zum geteerten Bliesweg, der auf einer alten Bahntrasse stetig steigt.

Berauscht vom Licht und den unscheinbaren Attraktionen (siehe Mardelle im Beitrag zuvor), verselbständigt sich die Phantasie und plötzlich bin ich ein kleiner John Franklin auf der Suche nach der Nordwest Passage. Die Irgendlinksche Nordwestpassage des Paminlands. Wie ein paar Artikel zuvor erwähnt, hat das Paminaland um Baden, Pfalz und Nordelsass grob die Form von Österreich. Oder von einer zusammengerollten Katze, die die Vorderfüße weit ausstreckt. Eine Katze, die den Vorarlberg gibt, sozusagen. Es ist schwer, eine Strecke zu finden, die auf Radwegen möglichst nahe der Grenzen des Paminalands einmal rund führt, weshalb ich das Stück zwischen etwa Dahn und Sarreguemines in die Tour mit eingebaut habe, obschon die Gegend gar nicht zur Paminaregion gehört. In meiner Phantasie entdecke ich gerade eine Passage, die das Radelerlebnis richtig rund werden lässt. Im Kasten rechts sieht man eine Karte (bzw. unter diesem Blogeintrag falls Euer Bildschirm sehr klein ist), in der meine geplante Strecke und die benutzten Radwege skizziert sind. Im Krummen Elsass, das der westliche Zipfel von Paminaland ist, gibt es eigentlich nur den Saarkohlekanal-Radweg. Man muss auf externe Wege gehen, um die Lücken zu schließen.

Auch heute klafft wieder ein Loch in meiner Paminarunde. Irgendwie muss ich nach Saverne zum Rhein-Marne-Kanal und ich bin noch unschlüssig, ob ich dem Saarkanal bis zur Kanalkreuzung folge und dort auf den Rhein-Marne-Kanal schwenke, oder ob ich quer durch die Berge fahre und das Kleinod Graufthal besichtige, ein kleines Dorf mit sehenswerten Felsenbauten. Beides hat seine Reize. Die Gegend um die Kanalkreuzung ist geprägt von großen Weihern. Manchmal verläuft der Radweg mitten durch den See. Es gibt Kanalbrücken und Tunnel und bei Lutzelbourg werden die Schiffe in einer Art gigantischer Badewanne den Hang hinaufgezogen (das ersetzt die alte Kanalstrecke, die sich über viele, dicht hintereinander folgende Schleusen den Berg hinauf arbeitete).

Wie auch immer. Ich muss noch ein paar Reparaturen am Radel tätigen, Frühstücken und dann gehts los und dann entscheide ich.

Auf gehts: Expeditionen ins Paminareich | #paminablog

Underfoot Aufnahme, Weitwinkel, winterlich gekleideter Radler vor weißem barockem Gebäude, der Kamera zugewandt.

Zweibrücken, halb neun. Raureif im Garten. Ich bin heilfroh, dass ich mich gestern durchgerungen habe, ein Ferienhaus in der Nähe von Saarunion zu buchen. Der Ort, Bonne Fontaine, ist mir schon vor Monaten bei meinen Recherchen zum nun beginnenden Blog- Reiseprojekt aufgefallen. Das Gärtnerhaus beim ehemaligen Château Bonnefontaine. Unweit des Saar-Kohlekanals. Der Radweg am Saar-Kohlekanal ist der erste von vielen, die ich im Laufe der nächsten Woche bei meiner ‚Expedition‘ durchs Paminaland ‚testen‘ werde – okay okay, ich kenne das Kleinod ja schon von zwei früheren Radreisen. Als Teilstück des E4, des europäischen Fernradwegs von Rom nach London ist er bestens ausgebaut und asphaltiert. Die Landschaft ein Idyll.

Ursprünglich war geplant, zeltend ums Land zu radeln. Die Eiseskälte und nette Spenden haben mich überzeugt, dass es besser ist, sich freizukaufen von den Ungemütlichkeiten des Reiselebens. Zumal ich etwas aus der Übung bin, da ich seit genau einem Jahr nicht mehr geradelt und radgereist bin.

Ich denke, dass ich gegen zehn elf Uhr losrolle.

Frau SoSo wird die Reise von zu Hause aus als enttippfehlernde Homebase-Fee begleiten.