Dehäm in de Palz | #paminablog

Vom Kraichgau zum Rhein und vom Rhein zum Wein. Mit den beiden vergangenen Tourtagen Nummer sieben und acht der Pamina-Rundtour, sieht man auf der Gesamt-Tourkarte, die Frau Sofasophia skizziert hat, wie sich der Kreis langsam schließt. Mittlerweile habe ich über 500 Kilometer in den Beinen. Die Radtour ist äußerst abwechslungsreich und es gibt viel zu sehen, was mich vor einigen Tagen zu einem Tweet veranlasste, in dem ich die Worte Vélodiversitée und Radfaltigkeit ins Spiel brachte. Wobei ich die Vélodiversitée von dem Wort Biodiversitée abgeleitet habe, das ich – wenn ich mich recht erinnere – erst 2010 irgendwo in Frankreich auf einem Umweltschutzplakat gelesen habe. Es dauerte dann noch ein paar Tage, bis ich ein geeignetes Wort auf Deutsch fand: Radfaltigkeit. Ich habe also nichts Besonderes erfunden. Dennoch: ich liebe solche Wortfindungen. Eigentlich lief meine Pamina-Umradelung bis zum vorgestrigen Tag prima nach Plan. Ich habe alle Themen- und Fernradwege aus meiner Tourskizze gefunden, befahren, auf Herz und Nieren getestet. Bis … nunja, der Kraichgau-Hohenlohe-Radweg mündet kurz hinter Kronau in den Rheintal-Radweg, den ich für fünf Kilometer nehmen müsste, um die Schönborn-Route nach Waghäusel zu treffen. Ich Schussel nehme aber die Rheintal-Route nach Norden, statt nach Süden und verirre mich auf regionalen Wegen bis Waghäusel. Erst dort vorm Schloss sehe ich erstmals ein Hinweisschild auf die Schönborn-Route. Meine verirrte Variante war aber auch nicht schlecht.

Diese Verirrung verdeutlicht aber das Problem, das zu viele verschiedene Radwege bei Fernreisenden verursacht: es ist schlicht verwirrend, vor einer Infotafel zu stehen, in der alle möglichen Wege als Knäuel von Rund- und Themenkursen gelistet sind. Schön wäre die Beschilderung einer großen Paminarunde. Auch die vielen Rheinradwege, die von Nord nach Süd im Rheintal verlaufen, verwirren sicher den einen oder anderen Fernreisenden zwischen Nordkap und Gibraltar.

Wie auch immer. Der Teil Mittlerer Oberrhein des Paminalands besteht den Stresstest dennoch. Sehr abwechslungsreiche Gegend zwischen tausend Meter hohen Bergen und lieblich geschwungenen Hügeln und mit dem großen Vater Rhein im Gepäck kann sowieso nichts schief gehen. Übernachtet habe ich bei vorher persönlich unbekannten Twitterfreunden zwischen Bruchsal und Germersheim. (Dankeee Ihr Lieben, es war schön bei Euch).

Am Morgen gehts über die 605 Meter lange Rudolf-von-Habsburg-Brücke in die Pfalz. Da die Zeit knapp ist, fahre ich gleich nach Norden weiter auf dem Rheinradweg (dem linksrheinischen, nicht zu verwechseln mit dem rechtsrheinischen, sowie dem Rheintal-Radweg, alles klar?) In Germersheim hätte ich mir zu gerne einmal das Straßenmuseum angeschaut. Aber es läuft ja nicht weg.

Kurzes Stück Landstraße ab Lingenfeld, dann bin ich auch schon wieder auf Themenradwegen, die mich durch Kraut und Rüben vom Rhein zum Wein führen. Die heißen tatsächlich Kraut-und-Rüben-Radweg und Vom-Rhein-zum-Wein. Beide Wege sind in der Open Cycle Map verzeichnet. Die versprochenen Infotafeln, die einem Lehrreiches über Wurzeln, Kohl und Riesling verraten, finde ich nicht, übersehe sie entweder, oder bin zu wenig Strecke gefahren auf den Wegen, die durch Felder und Weingärten in Richtung Osten führen.

Mitten im Schwegenheimer Wald steht neben dem Radweg ein Steinkreuz. Doch noch eine Infotafel. Dass es sich um ein Massengrab handelt und dass es derer viele in der Gegend gibt. Der Legende nach alte römische Massengräber, was jedoch nicht stimmt. Die Gräber sind aus dem frühen 18. Jahrhundert. Sie wurden von den Bewohnern der umliegenden Dörfer angelegt, um die Toten einer Schlacht zu begraben. Düsternis und Regen droht. Mir läuft es kalt den Buckel runter und ich sinniere über die Begriffe ‚vor langer Zeit‘ und ‚in alten Zeiten‘ als kaum noch deutbare Zeitangaben in mündlichen Überlieferungen. Die Verwechslung beider Begriffe hat angeblich zur Legendenbildung der Römergräber geführt.

Garstig drohende Bergkulisse voraus. Wie Schwarzwald, aber eine Spur lieblicher. Krasser Gegenwind bremst mich im recht ebenen Land auf 12 km/h. Etwas südlich ist ein Loch in der Pfälzerwald-Kette zu erkennen. Dort, in der Nähe von Landau, hat sich die Queich in Jahrtausenden Schufterei ein veritables Bett gegraben. Der Queichtalradweg (der eigentlich bis Germersheim führt und den ich morgens als direkten Schnellweg nach Hause hätte nehmen können), ist mein Ziel. Bei Siebeldingen erreiche ich ihn nach einiger Auf- und Abkletterei auf dem Radweg Deutsche Weinstraße.

Gegen vierzehn Uhr hört der Wind auf und Regen setzt ein. Es ist beruhigend, zu wissen, dass man nun an einer Bahnstrecke entlang fährt mit Bahnhöfen alle fünf bis zehn Kilometer, an denen man mitsamt Radel und Gepäck einsteigen und innerhalb einer guten Stunde daheim sein kann. Für einen Moment liebäugele ich damit. In Annweiler ist erst einmal Kaffeepause in einer Café-Bäckerei angesagt. Ich jongliere mit diversen Möglichkeiten: Ein Zimmer in Annweiler mieten, weiterfahren nach Wilgartswiesen, Hauenstein, Hinterweidenthal, irgendwo zelten, sogar der Campingplatz am Neudahner Weiher scheint geöffnet. Alles ist möglich. Ich könnte sogar mit der Bahn nach Hause fahren und am nächsten Tag wieder zurück wie ein Berufspendler. Es sind noch etwa 80 Kilometer bis Zweibrücken, wenn ich der Route in meinem Roadbook folge. In Wilgartswiesen stehe ich in unradelbarem Regenschauer kurz davor, eine Pension zu nehmen. Es gibt sogar zwei Hotels im Ort. Oder das Atelier von Künstlerfreund Peter Padubrin-Thomys in der Alten Hauptstraße? Nein, er ist leider nicht zu Hause. So viele Möglichkeiten, aber in meinem Kopf hat sich längst die Idee des Wildzeltens breit gemacht. In der letzten Tournacht. Sozusagen der Ehre wegen. Und dafür spricht auch der helle Streifen im Westen unter der bösen Regenwolke.

Kurz hinter Hauenstein, wo sich in den letzten dreizehn Jahren ein riesiges Gewerbegebiet entlang Bahnlinie und B10 gebildet hat, finde ich einen schönen Zeltplatz unter Fichten. Nur die Bundesstraße ist mit ihrem ewig malmenden Verkehr ziemlich nervig. Eine Wunde im Pfälzer Wald. Und nun, da ich dies tippe, wird mir klar, dass es ohne diese Straße vermutlich auch keinen Radweg gäbe.

Radeln durch Erfundenes | #paminablog

Ich bin mir nicht sicher, ob Offenburg im Paminaland liegt. Mein ICE schiebt sich gerade in den Bahnhof. Ich bin auf dem Weg ins ‚Basislager‘, Zweibrücken, wo das vollgepackte Radel schon wartet, ich mich zwei Tage akklimatisieren werde, am Mittwoch dann endlich losradeln werde zu meiner ‚Expedition des kleinen Mannes‘ rings um dieses noch ziemlich abstrakte Konstrukt namens Paminaland. Eigentlich ist es verrückt. Als ich vor einigen Jahren erstmals von der Paminaregion erfuhr, konnte ich sie mir gar nicht richtig vorstellen. Ich radelte auf einem Radweg namens Paminaradweg, der dem Tal der Lauter und Wieslauter entlang der deutsch-französischen Grenze folgt und wunderte mich über den Namen. Statt nachzuforschen, was Pamina bedeutet, begnügte ich mich damit, eine schöne Gegend auf einem gut beschilderten Radweg zu erkunden.

Erst Jahre später manifestierte sich die von Touristik- und Interessenverbänden erfundene Gegend rings um Pfalz (PA), Nord Alsace (NA) und Mittlerer Oberrhein (MI) als ‚echte‘ Gegend.

Der Zug rast mit 250 Sachen Richtung Karlsruhe. Vermutlich habe ich den ein oder anderen Radweg, auf dem ich nächste Woche im badischen Teil der künstlich geschaffenen Region radeln werde schon überquert. Um es genau zu sagen, der Zug bremst gerade herunter und wir rollen durch den von braunen Schallschutzmauern eingerahmten Bahnhof Baden Baden. Tristgrauer Himmel. Schneeplacken. Rechts die Ausläufer des Schwarzwalds. Industriegebiete. Hochwüchsige Wellblechbauten, ab und zu ein kahler Acker, garniert von den riesigen Lettern irgendwelcher Firmennamen.

Das ist Paminaland. Genauer der Teil MI des dreigliedrigen Landes. Ein erfundenes Land. Aber wurde nicht jedes Land irgendwann von Menschen erfunden? Grenzen definiert. Interessen festgelegt. Ziele und Gemeinsamkeiten ins Auge gefasst. Paminaland hat ungfähr die Form von Österreich. Das Krumme Elsass ragt wie Vorarlberg nach Westen. Kärnten wäre ungfähr bei Baden Baden, Salzburg irgendwo nahe Germersheim und Wien ungefähr an dem äquivalenten Punkt von Pforzheim. Aber halt halt, Pforzheim gehört gar nicht zum Paminaland. Pforzheim dürfte etwa da liegen, wo Bratislava liegt. Alles klar?

Egal. Das Paminaland ist ohnehin flexibel. Eine Karte, die mir letzten Winter von den französischen Kooperationspartnern zur Verfügung gestellt wurden, listet einige Gemeinden, die das Paminaland verlassen haben. Und ganz im Süden kamen stattdessen andere hinzu.

Ich finde das phänomenal. Also nicht etwa, dass Gemeinden kommen und gehen, das ist banal. Normal. Immer so. Phänomenal finde ich, was diese innere Seelenlandnahme mit mir anstellt. Und vielleicht auch mit dem ein oder anderen Mitlesenden. Wie wir unsere Welt mit ihren Grenzen und Wegen und Besonderheiten, den trennenden wie einenden Merkmalen wahr werden lassen. Landmarken, nur eine Kombination verschiedener, willkürlicher Definitionen?

Gerade in einem Land, in dem die bestimmenden Politiker so eng denkend sind, dass sie ein Heimatministerium ins Leben rufen, müsste man sich um die absurde Abstraktion von Grenzen besondere Gedanken machen.

Ich will hier nicht politisch werden. Ich will auch keine Grenzen herbeischreiben. Eigentlich möchte ich nur durch eine Gegend radeln und Land und Leute erkunden.

Fast kommt es mir wie ganz natürlich vor, dass, weil ich etwas beoachte, durchwandere und beschreibe, es erst durch diesen individuellen Akt Gestalt annimmt.

Was wäre das übrigens für eine Welt, die sich durch Beobachten erst manifestiert. Täglich neu und von Angesicht dieses beobachtenden Individuums zu Angesicht jenes beobachtenden Individuums vielleicht völlig unterschiedlich. Statt per starr gewachsenen menschlichen Rechtdenkens festgeschrieben zu werden?

Ich weiß, das ist komplizierter Stoff, den ich gerade roh, mit 250 Sachen, den Schwarzwald entlang rasend, denkend ins winzige Smartphone tippe.

Freue mich auf die neun Tourtage ab übermorgen, in denen diese Gedanken hoffentlch in ruhigere Bahnen kommen.