Diese Stille! Kaum zwei Stunden unterwegs, Luftlinie vielleicht zehn Kilometer entfernt von Zweibrücken und … nichts. Zaghafte Insekten, allenfalls bellt ein Hund und manchmal schlägt die Stunde am nahen Kirchturm von Medelsheim. Ein geteerter Feldweg führt hinauf auf die Kämme, die das Bliestal säumen. Unterzuckerung zwingt mich, eine Pause zu machen. Das Radel steht mitten auf dem Weg und ich mache es mir auf einem Brunnenkopf in der Sonne gemütlich. Die Unterzuckerung spült erste Allmachtsgefühle ins Hirn, ein eigentlich natürlicher Zustand des Wohlbefindens, der sich auf Radtouren hin und wieder einstellt und der einen Dinge denken lässt, die man sonnst nicht denkt, der einen auf neue Gedanken bringt oder wenigstens auf Parallelgedanken, die nur eine Spur neben den ausgetretenen Hauptgedanken laufen und ein Schattendasein in der Unkenntnis führen. Ich esse ein Brot mit Butter, dazu ein uraltes Stück Sbrinz, ein Schweizer Käse, aus dem man schussischere Westen bauen könnte. Ich habe es vor der Abreise in meinem Kühlschrank gefunden.
Warum es hier so still ist, kann ich mir zunächst nicht erklären. Natürlich, das Rauschen der Stadt fehlt, aber da ist noch mehr, besser gesagt, weniger. Die Flieger fehlen. In Zweibrücken hört man immer irgendwelche Flieger, meist Passagierflugzeuge, manchmal auch langanhaltend nachbrennende Militärflieger vom nahen Flugplatz Ramstein. Vermutlich führt über die westpfälzische Kleinstadt eine Flugautobahn. Flightradar würde Auskunft geben.
Doch zurück zu den unterzuckerungsbedingten Allmachtsphantasien: ich stelle mir vor, ich bin hauptberuflicher Radwegetester, ein Beruf, den es meines Erachtens gar nicht gibt, aber in meiner Phantasie wird er plötzlich wahr. Menschen, die Radwege auf Herz und Nieren abklopfen und für andere Menschen eine Bewertung geben. Nach der Pause erreiche ich schon bald ein erstes Testobjekt, den Radweg vis-à-vis, der sich, grob gesagt, grenzübergreifend rings um Saarbrücken und Forbach schlängelt. Eigentlich war er gar nicht in meiner Liste, vielmehr wollte ich ins Bliestal auf die alte Bahntrasse, die ich schon kenne, aber wenn sich dir ein Radweg in den Weg stellt, nimm ihn. Das ungeteerte Etwas führt auf breiten Waldwegen durch lichten Buchenbewuchs. An dieser, meiner Einstiegsstelle, Walsheim Richtung Niedergailbach, ein bissel auf und ab und parallel zum geteerten Bliesweg, der auf einer alten Bahntrasse stetig steigt.
Berauscht vom Licht und den unscheinbaren Attraktionen (siehe Mardelle im Beitrag zuvor), verselbständigt sich die Phantasie und plötzlich bin ich ein kleiner John Franklin auf der Suche nach der Nordwest Passage. Die Irgendlinksche Nordwestpassage des Paminlands. Wie ein paar Artikel zuvor erwähnt, hat das Paminaland um Baden, Pfalz und Nordelsass grob die Form von Österreich. Oder von einer zusammengerollten Katze, die die Vorderfüße weit ausstreckt. Eine Katze, die den Vorarlberg gibt, sozusagen. Es ist schwer, eine Strecke zu finden, die auf Radwegen möglichst nahe der Grenzen des Paminalands einmal rund führt, weshalb ich das Stück zwischen etwa Dahn und Sarreguemines in die Tour mit eingebaut habe, obschon die Gegend gar nicht zur Paminaregion gehört. In meiner Phantasie entdecke ich gerade eine Passage, die das Radelerlebnis richtig rund werden lässt. Im Kasten rechts sieht man eine Karte (bzw. unter diesem Blogeintrag falls Euer Bildschirm sehr klein ist), in der meine geplante Strecke und die benutzten Radwege skizziert sind. Im Krummen Elsass, das der westliche Zipfel von Paminaland ist, gibt es eigentlich nur den Saarkohlekanal-Radweg. Man muss auf externe Wege gehen, um die Lücken zu schließen.
Auch heute klafft wieder ein Loch in meiner Paminarunde. Irgendwie muss ich nach Saverne zum Rhein-Marne-Kanal und ich bin noch unschlüssig, ob ich dem Saarkanal bis zur Kanalkreuzung folge und dort auf den Rhein-Marne-Kanal schwenke, oder ob ich quer durch die Berge fahre und das Kleinod Graufthal besichtige, ein kleines Dorf mit sehenswerten Felsenbauten. Beides hat seine Reize. Die Gegend um die Kanalkreuzung ist geprägt von großen Weihern. Manchmal verläuft der Radweg mitten durch den See. Es gibt Kanalbrücken und Tunnel und bei Lutzelbourg werden die Schiffe in einer Art gigantischer Badewanne den Hang hinaufgezogen (das ersetzt die alte Kanalstrecke, die sich über viele, dicht hintereinander folgende Schleusen den Berg hinauf arbeitete).
Wie auch immer. Ich muss noch ein paar Reparaturen am Radel tätigen, Frühstücken und dann gehts los und dann entscheide ich.
Dieses Pamina-Land, diese nichtexistente und nur ungenau abgesteckte Region ist mir noch unbegreiflich. Wahrscheinlich bleibt es für mich auch etwas ähnliches wie Schangri-La, bis ich es mit eignen Füßen erlebt habe, mit eignen Augen gesehen?
Insofern ist Deine jetzige Tour wieder eine besondere, und sie ist anders als all die vorher von mir mitgelesenen.